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Grundlagen für eine fachgerechte Sattelbegutachtung

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Die Begutachtung eines Sattels ist komplex. Sie betrifft immer ein lebendes Tier, das sich im Laufe der Zeit verändert – abhängig von Alter, Trainingszustand, Gesundheit, Haltung und Nutzung. Entscheidend sind eine klare Reihenfolge der Prüfungsschritte sowie geeignete Hilfsmittel, um eine sichere und fundierte Beurteilung zu gewährleisten.
Besonders im Streitfall – etwa bei einer geforderten Rückabwicklung – müssen zusätzlich sicherheitsrelevante Aspekte des Sattelbaums und der Sturzfeder berücksichtigt werden.


1. 📑 Rahmenbedingungen und Aktenlage #

  • ✅ Grundlage ist die Gerichtsakte.
  • ✅ Beweisfragen werden ausschließlich vom Gericht oder den Anwälten formuliert.
  • ❌ Zusätzliche Sachverhalte dürfen nicht eigenmächtig geprüft oder beurteilt werden.

2. 🛠️ Vorbereitung durch den Sachverständigen #

Vor Beginn der Begutachtung muss der Sachverständige:

  • ✅ Normen und technische Grundlagen zum jeweiligen Sattelbaum kennen,
  • ✅ Herstellergarantie und Angaben zur Veränderbarkeit prüfen,
  • ✅ Aufbau, Materialien und Anpassungsmöglichkeiten erfassen,
  • ✅ Pflege- und Bedienungshinweise (insbesondere in der Einreitphase) berücksichtigen,
  • ⚠️ Garantiebedingungen des Herstellers einbeziehen: Viele schließen Schäden durch Unfälle, Abnutzung oder Manipulation an Sturzfeder und Kopfeisen ausdrücklich aus.
    👉 Siehe: Sturzfeder defekt – wie reparieren?

3. 📂 Notwendige Unterlagen #

Eine seriöse Prüfung setzt voraus:

  • ✅ Akten, Bilder und Maßprotokolle zur Übergabe des Sattels,
  • ✅ Dokumentation von Beratung, Maßaufnahme, Probeanprobe und Endabnahme,
  • ✅ schriftlich fixierte Absprachen zwischen Verkäufer und Kunde,
  • ✅ Garantiebedingungen, Herstellerfreigaben, ggf. Reparaturberichte oder Messprotokolle (z. B. Tomax HBST).

❌ Fehlen diese Unterlagen, können sie nicht nachträglich berücksichtigt werden.
📌 Empfehlung: vollständige Dokumentation bei jeder Sattelübergabe.


4. 🐎 Veränderungen am Pferd #

  • Pferde verändern sich kontinuierlich: Muskelaufbau, Fettgewebe, Sattellage variieren nach Fütterung, Haltung und Jahreszeit.
  • ⚠️ Nachsorgetermine können auch kurz nach optimaler Einstellung erforderlich sein.
  • Hilfsmittel: BMEL-Leitlinie Pferdehaltung, Body Condition Score (BCS) nach Dr. Stephanie Schramme.

5. 🧾 Begutachtung des Sattels #

  • ✅ Vergleich mit ursprünglichem Maßprotokoll (z. B. Tomax HBST-Abbilder).
  • ✅ Kontrolle der Kopfeisenlinie in Position B–GL (7 cm hinter 0).
  • ✅ Prüfung auf Lagerschäden oder Fehlbelastungen der Kissen.
  • ✅ Steigbügelriemen in genutzter Position belassen und Symmetrie prüfen.
  • ✅ Einflussfaktoren durch den Reiter (Körpergröße, Sitz, Einwirkung) berücksichtigen.
  • ⚠️ Einwirkungen seit dem Verkauf / Gefahrenübergang erfassen: Unfälle, Stürze oder Belastungen, die Spuren am Sattel hinterlassen haben können.
  • ⚠️ Eigenreparaturen prüfen: z. B. ob versucht wurde, eine Sturzfeder zurückzubiegen.
    👉 Siehe: Sturzfeder defekt – wie reparieren?

❌ Veränderungen durch Pferd, Reiter oder Haltung sind kein Sachmangel.
❌ Nachträgliche Eingriffe Dritter sind auszuschließen.


6. 🐴 Prüfung am Pferd #

  • Identifikation: Chipkontrolle ist verpflichtend. Ohne eindeutige Identifikation ist ein Gutachten vor Gericht nicht verwertbar.
    ⚠️ Falls kein Chip implantiert ist, können zur Identifikation auch die entsprechenden Eintragungen zu den unveränderlichen Merkmalen des Pferdes im Equidenpass (z. B. Abzeichen, Wirbel, Farbe, Geburtsjahr) herangezogen werden.
  • Allgemeinzustand: Beweglichkeit, Muskulatur, Schmerz- und Druckreaktionen dokumentieren; Belastungsrahmen im Verhältnis zum Reitergewicht berücksichtigen.
  • Hilfsmittel:
    • Abformungen mit Kurvenlineal (Flexi Curve) an Messpunkten A (höchster Punkt Schulterblatt), B (Knorpelansatz Schulterblatt), GL (Kopfeisenlinie, 3 Finger hinter Schulterblattende).
    • ⚠️ Einschränkungen beachten: Kurven- und Biegelineale sind hilfreich, aber nicht geeicht. Ein einzelnes Abzeichnen ist nur eine Momentaufnahme. Für eine seriöse Beurteilung sind Wiederholungen und vollständige Protokolle (Quer- & Längsvermaßung, Kopfeisenlinie, Rippenverlauf) nötig.
      👉 Siehe: Informationen zum Saddle-Check Mess-System
    • ⚠️ Hinweise zum Tomax HBST: Dieses System bildet nur die Oberfläche im Stand ab, nicht Muskulatur oder Bewegung. Es ist nicht geeicht, mittelt Messwerte und kann Unterschiede glätten. Die Dokumentation der Kopfeisenlinie (GL) und des Rippenbogens muss ergänzt werden. Alle Fotos und Messprotokolle sind offenzulegen, sonst verliert ein Gutachten an Beweiskraft.
      👉 Siehe: Arbeiten Sie mit dem Tomax HBST-Pferderückenabbilder?
    • Fotodokumentation: gesamtes Pferd ohne Gegenlicht, Markierungen sichtbar, Skalierung Vorderhuf–Widerrist, Messung der Auflagelänge bis zum letzten Rippenbogen.

7. 🔩 Kopfeisen und Sattelbaum #

  • ✅ Prüfung der aktuellen Kopfeisenweite und Ortganglänge.
  • ✅ Kontrolle unter Bewegung (Vorderbein im Karpalgelenk anheben).
  • ✅ Vergleich mit Winkelmesser; farbige Kopfeisen können Toleranzen aufweisen.
  • ✅ Bei austauschbaren Kopfeisen: Ausbau und Prüfung direkt am Pferd.
  • ✅ Bei festen Kopfeisenplatten: Anpassung nur nach Herstellervorgaben.

Normen: BS 6635:2015 (Holzbäume), BS 7875:2009 (synthetische Bäume)

⚠️ Zusätzlich prüfen:

  • Verzug der Sturzfeder und exakte Symmetrie (max. 2 mm Toleranz).
  • Vernietungen auf Lockerungen oder Brüche; ausgeschlagene Bohrlöcher dokumentieren.
  • Herstellerentscheidung akzeptieren, wenn der Austausch des gesamten Sattelbaums erforderlich ist.
  • Garantiebedingungen: Selbst fachgerechte Verstellungen können ausgeschlossen sein.
    👉 Siehe: Wie ist ein fertiger Sattel auf Symmetrie und Verzug zu prüfen?

8. 🛡️ Sattelkissen und Tierwohl #

  • ✅ Harmonischer Kissenaufbau entscheidend.
  • ❌ Wulstartige Polsterungen im Frontbereich blockieren Schulterbewegung.
  • ❌ Ein unpassender Sattel darf nicht unter Reiterlast genutzt werden → Verstoß gegen § 1 Tierschutzgesetz.

9. 👩‍🏫 Reiter und Sitzgröße #

  • ✅ Sitzgröße auf Sattelbock prüfen, wenn keine Überprüfung am Pferd möglich.
  • ✅ Vergleich mit Reitermaßen empfohlen.

10. 🔍 Weitere Einflussfaktoren #

  • ✅ Vorher benutzte Sättel müssen einbezogen werden.
  • ✅ Dokumentation von Steigbügelriemen und Einrichtungsarbeiten erforderlich.
  • ✅ Bildaufnahmen sichern Neutralität.
  • ✅ Alle Eckdaten, Maße und Vereinbarungen protokollieren und gegenzuzeichnen.

11. 📌 Ergänzende Hinweise #

  • ✅ Balancefähigkeit des Pferdes wirkt sich direkt auf den Sattel aus.
  • ⚠️ Lahmheiten (z. B. Arthrose) können Kissenverschiebungen verursachen.
  • ⚠️ Saisonale Veränderungen (Fellwechsel, Weideumstellung) erfordern Neubewertungen.

⚠️ Warnblock #

„In jedem Fall deckt die Garantie keine Schäden ab, die durch Abnutzung, Unfälle, unsachgemäße Verwendung oder die Verwendung ungeeigneter Reinigungsprodukte verursacht wurden. Darüber hinaus erlischt sie, wenn die Sattelkomponenten, einschließlich des Kopfeisens und der Sturzfedern, manipuliert oder verändert wurden.“

👉 Das bedeutet: Hersteller übernimmt keine Haftung, sobald sicherheitsrelevante Bauteile wie die Sturzfeder manipuliert oder beschädigt sind.
👉 Siehe: Sturzfeder defekt – wie reparieren?


📌 Hinweis: Herstellerfreigaben beachten! #

❓ Selbst fachgerechte Verstellungen können im Garantiefall ausgeschlossen sein, wenn keine Freigabe vorliegt.
✅ Herstellervorgaben zu Kopfeisen, Sturzfeder und Sattelbaum sind zwingend einzuhalten.

👉 Hier finden Sie eine zusammenfassende Checkliste

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