Was bedeutet der „Wäscheklammer-Effekt“?
Ein Beispiel aus meiner Praxis:
Vorgang 12920 / 27.01.2024: Prestige Lucky Idol
Die Kundin meldete sich mit folgender Vorgeschichte:
Wenige Wochen nach dem Kauf des Sattels (durch einen anderen Sattler) entwickelte das Pony einen starken Gurt- und Sattelzwang. Es ließ sich nicht einmal mehr eine Schabracke oder Decke auflegen. Nach rund 1½ Jahren Pause begannen wir im Sommer 2023 langsam wieder mit der Gewöhnung an Decken auf dem Rücken.
Laut Kundin wurde der Sattler (auch als Gutachter tätig) damals kontaktiert. Seine Aussage: „Wenn das Pferd jetzt Probleme hat, liegt das am Pferd – nicht am maßangefertigten Sattel.“ Einen Vor-Ort-Termin lehnte er ab.
Bei der aktuellen Überprüfung ergaben sich folgende Werte:
- Benötigter Kammerwinkel im Stand (GL-Linie): ca. 92 Grad
- Benötigter Kammerwinkel in Bewegung (S-Bar, gelb): ca. 105 Grad
- Tatsächlicher Sattelwinkel am Ortgang (außen geschätzt, grün): ca. 73 Grad
Das Unterblatt des Sattels ist fest mit dem Kissen vernäht. Die Kissen lassen sich dadurch nicht aus der Ortgangtasche heben, und die Ortgänge können nicht vollständig freigelegt oder direkt gemessen werden. Ein genaues Maß am Sattelbaum war nur durch Vergleich mit einem Kopfeisen grob schätzbar.
Hinweis:
Solche Konstruktionsmerkmale erschweren eine Warmverstellung erheblich. Dafür müsste der Baum komplett freigelegt werden.


Einschätzung:
Die fest vernähten Kissen sind aus meiner Sicht überflüssig und sogar nachteilig. Der eigentlich tragende Bereich am Ortgangende wird dadurch eingeschnürt. Es entstehen Wulste, die auf beiden Seiten in den Trapezmuskel drücken und das aktive Schulterblatt blockieren.
Der gemessene Winkel (ca. 73 Grad) entspricht dem vieler Sättel dieser Marke – passt aber nicht zur tatsächlichen Anatomie des Ponys. Da es sich um einen neuen Sattel handelt, liegt die Vermutung nahe, dass auch hier Rückstellkräfte im Kunststoffbaum (ohne Kopfeisen) eine Rolle spielen.
Grundsätzlich zeigt sich bei Kunststoff-Sattelbäumen ohne Kopfeisen häufig eine temperaturabhängige „klammernde“ Wirkung direkt hinter dem Schulterblatt. Dort entsteht durch Reitergewicht und Gurtung zwar Druck, aber keine stabile Passform.
Gerade in diesem Bereich – dem aktiven Schulterblatt – braucht es Stabilität. Ist diese nicht gegeben, „zieht“ sich der Baum nach einer Warmverstellung wieder in seine ursprüngliche Form zurück. Das ist der sogenannte Wäscheklammer-Effekt.
Weiterführende Informationen:
- Warum sollte beim Sattelkauf auch „unter die Haube“ geschaut werden?
- Gurt- und Sattelzwang – wie damit umgehen?
- Problematik bei einem Sattelbaum ohne Kopfeisen
- Kunststoff-Sattelbaum in der Warmverstellung – was ist zu beachten?
- Naturwolle vs. synthetische Wolle
- Wie ist das Kissen eines Sattels zu prüfen?
