Häufig falsch gemischte Annahmen #
Oft werden bei flexiblen Baumkonstruktionen Versprechen und Erwartungen vermischt, ohne dass klar zwischen Beweglichkeit und Belastbarkeit unterschieden wird.
Hersteller dürfen Sattelbaum-Konstruktionen ohne zwingende wissenschaftliche Belege auf den Markt bringen – das heißt: fehlende Evidenz ist keine Hürde.
Eine fundierte Bewertung muss daher technische, biomechanische und praktische Aspekte berücksichtigen.
1. Grundfunktion des Sattelbaums #
Ein Sattelbaum muss drei zentrale Anforderungen erfüllen:
- Das Reitergewicht gleichmäßig auf den Pferderücken verteilen
- Der Längsachse des Pferderückens folgen, ohne signifikante Durchbiegung
- Stabil und tragfähig sein, gerade unter dynamischer Belastung
Fehlt diese Stabilität, kann sich insbesondere der mittlere oder hintere Teil des Sattels nach unten ziehen, wodurch Druck auf sensible Bereiche wie den Lendenbereich ausgeübt wird.
Ein instabiler Baum kann bei Bewegungen durchhängen und so zur Belastung werden.
2. Beweglichkeit vs. Diagonalnachgiebigkeit #
Seitliche Beweglichkeit (Diagonalflexibilität) ist grundsätzlich wünschenswert – sie ermöglicht, dass der Sattel mit der Bewegung des Pferdes „mitschwingt“ und nicht blockiert.
Viele gute englische Sättel – ob aus Holz, Kunststoff oder Mischmaterialien – nutzen diese Kombination: Längsstabilität plus kontrollierte seitliche Nachgiebigkeit.
Der kritische Punkt ist, dass diese Flexibilität nicht auf Kosten der Längsachse gehen darf.
3. Kernproblem: Frontbereich mit Kopfeisen und Ortgängen #
Die Ortgänge und das Kopfeisen sind tragende Elemente – vergleichbar mit Dachsparren in einem Hausdach.
Wenn diese Bauteile zu flexibel ausgeführt sind, können sie die Kräfte, die über die Steigbügel eingebracht werden, nicht zuverlässig weiterleiten.
Bei hoher Dynamik, z. B. beim Springen oder starken Bewegungen, biegen sich flexible Ortgänge durch und leiten Last ungleichmäßig weiter, oft mit Druckspitzen im Bereich der Schulter oder des Widerrists.
Nur bei stabil dimensionierten Ortgängen und einem fest geführten Kopfeisen lässt sich eine korrekte Kraftübertragung sicherstellen.
4. Flexible Points – ein gestalterischer Trick mit Risiken #






„Flexible Points“ sind Konstruktionen, bei denen Ortgänge oder Kopfeisenenden bewusst nachgiebig gestaltet sind (z. B. aus weichem Kunststoff oder Leder).
Solche Punkte lassen sich äußerlich kaum spüren und täuschen oft eine passende Weite vor. Doch sobald Belastung einsetzt, verformen sie sich, und die tatsächliche Kopfeisenweite verändert sich.
Das Pferd spürt diese Nachgiebigkeit direkt – insbesondere im Schulterbereich. So entstehen punktuelle Druckbelastungen und ungewollte Lastverschiebungen.
5. Technische & wissenschaftliche Bewertung #
- Studien belegen, dass konventionelle Sättel mit stabilen Bäumen Last gleichmäßiger verteilen und niedrigere Druckspitzen erzeugen als baumlose oder stark flexible Systeme.
- Flexible Bäume ohne stabile Längsachse zeigen oft wechselnde Druckverteilungen, die von Reiterbalance, Bewegung oder Stärke variieren.
- Besonders die Lasten, die über die Steigbügel eingebracht werden, können ohne tragfähige Struktur nicht kontrolliert in die Fläche geleitet werden – stattdessen entstehen punktuelle Spitzen und Torsionskräfte.
- Aus biomechanischer Sicht ist das Fehlen einer stabilen Längsachse eine für das Pferdwohl ungünstige Eigenschaft: Die Belastung wird nicht über kontrollierbare Strukturen abgeleitet, sondern direkt an sensible Bereiche abgegeben.
Schlussfolgerung / Empfehlung #
Wenn Sie flexible Sattelbäume oder Systeme in Erwägung ziehen, achten Sie besonders auf die Stabilität von Ortgängen, die Beschaffenheit des Kopfeisens und ob sich die Konstruktion unter Last verändert.
Flexible Elemente können unterstützend wirken, dürfen aber nicht die tragende Struktur ersetzen.
6. Weiterführende Infos #
- Von außen die derzeitige Kammerweite im Sattel erkennen
- Warum sollte beim Sattelkauf auch „unter die Haube“ geschaut werden?
- Problematik an einem PDS Dressursattel.
- Was ist bei Lederbäumen zu beachten?
Ein Sattel mit flexiblen Points kann außen passend wirken, drückt aber bei Belastung punktuell auf das Schulterblatt, oder in den aktiven Schulterblattbereich.
Wichtiges Wissen zum Thema: Normen im Sattelbau
Beispiel und Erklärung: Was ist bei Lederbäumen zu beachten?
Hinweise und Kriterien der Deutschen Reiterlichen Vereinigung (FN): Sattel
Weiterer Lesestoff:
- Kopfeisen versus Verstellmechanik
- Wie ist ein fertiger Sattel auf Symmetrie und Verzug zu prüfen?
- Was ist von Werbung bei Sätteln mit bis zu 50% größerer Auflage zu halten?
- Kunststoff-Sattelbaum in der Warmverstellung, was ist zu beachten?
- Was ist bei Sätteln mit Karbon-Sattelbaum zu beachten?
- Eine Schablone zur Kontrolle erstellen
