Kammerweite von außen erkennen?
Immer wieder hört man Aussagen wie: „Ich sehe von außen, ob die Kammerweite passt.“
Tatsächlich hält diese „Kunst“ einer gründlichen Prüfung meist nicht stand. Oft liegen die Abweichungen bei über 5 Grad – das ist erheblich.
Fehlt dann auch noch ein Rücken am Kissen in den Ortgangtaschen, ist die Statik des Kopfeisens ungesichert. Die tatsächliche Einstellung ist von außen nicht erkennbar. Siehe hierzu: Problematik bei einem Sattel der Marke Capreole.
Eine verlässliche Beurteilung ist nur mit einer Schablone oder direkt am Pferd mit dem Kopfeisen möglich. Und zwar auf beiden Seiten:
- Was benötigt das Pferd aktuell?
- Was ist im Sattel aktuell eingestellt?
Auch bei neuen Sätteln kann die Kammerweite schon verstellt worden sein – gerade bei fest vernähten Kopfeisen ist das schwer zu erkennen. Die Ortgangenden liegen verdeckt in den Taschen, oft mit Toleranzen von 2 cm oder mehr. Die Tragfähigkeit und Stabilität der Ortgänge sind so ebenfalls nicht überprüfbar. Der typische „Wäscheklammereffekt“ bei instabiler Ortgangführung bleibt dabei oft unentdeckt.
Sind die Kissen geschraubt, ist eine Kontrolle leichter.
Für eine genaue Prüfung muss das Kissen aber in jedem Fall abgenommen werden.
Nur selten liegt ein lückenloses Servicehandbuch zum Sattel vor. Erst ohne Kissen zeigt sich, ob schon Veränderungen vorgenommen wurden – und ob der Sattelbaum dabei an seine Grenzen gekommen ist.
Soll ein Sattel geweitet werden, muss das Kissen entfernt werden. Andernfalls wirkt das (möglicherweise ungleichmäßige) Kissen selbst als Widerlager, was zu Asymmetrien führen kann.
Nach dem Weiten (etwa mit 3,5 t Druck) sollten außerdem die Vernietungen kontrolliert werden.




Hier lange Ortgänge aus Kunststoff und ein Kopfeisen, das nur auf Höhe der Steigbügelhalterung mit dem Sattelbaum vernietet ist. Die Spitzen des Kopfeisens sind jedoch nicht mit dem Sattelbaum verbunden und können sich je nach Erwärmung und Belastung des Kunststoff-Sattelbaumes weit voneinander trennen. Somit von außen unsichtbar, eine andere Richtung zum Pferdekörper haben. In diesem Fall (10824/21.05.2023) mit den Eisenenden das Schulterblatt blockieren. Hierdurch konnte der betroffene Bereich nicht aufgebaut werden. Es konnte eine Atrophie (Kuhlen im Schulterbereich) sowie eine Rumpfabsenkung am Pferd festgestellt werden. Die wichtige tragende und überbrückende Funktion der Ortgänge mit dem Kopfeisen ist mit diesem Konstrukt nicht gegeben. Durch die weit hinten liegende erste Strupfen wurde der Sattel dann nach vorn auf das Schulterblatt gezogen. Hier haben dann die Eisenenden auf die hochempfindliche Knorpelplatte der Schulter gedrückt.


Hier Vorgang 13347/15.05.2025: ein Equiveron Inferno PP bei dem wir zunächst am Stall noch mit vorgehaltenen schwarzen Kopfeisen von einer aktuellen Winkelung von 78 Grad ausgegangen sind. Nachdem ich in der Werkstatt das vernähte Kissen gelöst hatte, stellte sich heraus, dass die Ortspitzen, vom Vertrieb noch stärker verpresst, bei 71,7 Grad/Pointmaß 29,0 stehen. Da die Ortspitzen bis über die Hälfte in den Ortgangtaschen stecken und sich zudem im Kissen vergraben, ist dies von außen schlecht auszumachen. Am Pferd wurde aktuell eine benötigte Winkelung von 89,6 Grad mit einem am Pferd aufgelegten Kopfeisen festgestellt.
Die im unteren Drittel festgestellte konkave Linienführung in den Ortschenkeln, zeigt das Resultat einer mangelhaften, zu weit unten angesetzten Engerstellung des Sattels. Es stellt sich auch die Frage, ob dieser Sattelbaum mit diesen massiven Vernietungen überhaupt hätte verändert werden dürfen. Das Kissen ist in der Polsterung im gegenüberliegenden Bereich der Spitzen sehr dünn, nicht tragend, und darüber wölbt sich ein massiver Wulst auf, der das aktive Schulterblatt in der Bewegung hindert.
Leider bekommt man, trotz freundlichen Anschreibens zur Veränderbarkeit des Sattelbaums, keine Antwort von Equiveron.
Schaut man sich die Verstellung und die Resultate hieraus genauer an, hat man jedenfalls anschließend nicht mehr den Eindruck, von einer Veränderbarkeit des Sattels ausgehen zu können, ohne weiteren Bruch am Sattelbaum leichtfertig zu riskieren. Dies müsste beim Verstellen auch ganz schön geknirscht und eigentlich zu denken gegeben haben.




Mit einem derart vernieteten Kopfeisen in einem Kunststoff-Sattelbaum befinden wir uns rund 20–25 Jahre hinter der aktuellen Entwicklung.
Schon damals galt für derlei: Nicht den Sattel über eine Presse verändern!

Ich denke, es wäre leichtfertig, den Sattelbaum nun derart (18°) über eine Verstellung in die andere Richtung verändern zu wollen, ohne Bruch beziehungsweise Totalschaden zu riskieren.
- Das Problem mit Kammerweiten
- Kopfeisen versus Verstellmechanik
- Wie wichtig ist die Symmetrie des Kopfeisens?
- Was ist von flexiblen Bäumen zu halten?
- Vermessen von Reiter und Pferd
- Eine Schablone zur Kontrolle erstellen
- Problematik bei einem Sattelbaum ohne Kopfeisen
- Warum sollte beim Sattelkauf auch „unter die Haube“ geschaut werden?